Kommentierter Auszug aus dem Artikel: »Mehr als nur Geld« aus DIE ZEIT 23.09.2004 Nr.40
Die Fragen stellten
Christiane Grefe und Susanne Mayer
Die Gedanken machte sich der Leser
Schmidt: …Wir sind ein kinderentwöhntes Land.
ZEIT: Müssen Sie nicht erst einmal Ihre
Kollegen im Kabinett an das Thema Kind gewöhnen? Wie zögerlich man da an die
Entlastung der Familien bei den Beiträgen zur Pflegeversicherung rangeht, statt
den Auftrag des Bundesverfassungsgerichtes zu begrüßen und endlich die
Erziehungsleistung der Eltern als geldwerte Leistung anzuerkennen!
Schmidt: Wovon denn: von Schulden? Und wer zahlt
die Schulden zurück? Die Kinder!
Leser: Beachtlich, kaum bohren die beiden
Interviewerinnen ein Tabuthema an, wirft die Familienministerin die erste
Nebelkerze und verfällt in den Imperativ. Mir wären jetzt auf Anhieb die
Einkommensüberhänge Kinderloser eingefallen.
ZEIT: Mehr zahlen könnten doch alle Leute zu Zeiten, in denen sie keine
Kinder erziehen oder Ältere pflegen. Sie haben doch mehr in der Währung Geld
und Zeit, als wenn sie mit Kindern leben würden.
Leser: Überraschung, derselbe Gedanke bei der
ZEIT. Die Beiden trauen sich tatsächlich, das Tarnnetz über dem Graben zwischen
Menschen mit und ohne Unterhaltsverpflichtungen wegzureißen – ob das gut geht?
Schmidt: Dann fragen Sie mal, wie die Begeisterung
bei einer kinderlosen Aldi-Verkäuferin ist, wenn man ihr sagt: Du zahlst jetzt
von deinem kleinen Einkommen noch mal 150 Euro für die Pflegeversicherung.
Leser: Keine Überraschung, Frau Schmidt hält die
Beiden für schlicht und devot genug, ihr diesen Textbaustein kinderloser
Altruisten durchgehen zu lassen. Mal sehen, was jetzt kommt.
ZEIT: Nun, manche Verkäuferin bei Aldi muss so
ein kleines Einkommen mit ein oder zwei Kindern teilen – und trotzdem denselben
Pflegeversicherungsbeitrag abgeben wie die kinderlose Kollegin. Wer vertritt
die Interessen dieser Mutter? Bevor Sie Ministerin waren, haben Sie gesagt,
ohne Familienwahlrecht, in dem Eltern für ihre Kinder abstimmen, seien
familienpolitische Reformen in Deutschland gar nicht durchsetzbar. Warum steht es
jetzt nicht oben auf Ihrer Agenda?
Leser: Tor! Tor! Tor! Tabubruch! Jetzt haben die
beiden den Konsens von durch Kinderlose dominierter Politik und Medien
aufgekündigt! Sie haben es tatsächlich gewagt! BRAVO!
Schmidt: Auch ich unterliege der
Kabinettsdisziplin. Der Bundeskanzler und das Kabinett sind – mit wenigen
Ausnahmen – der Meinung, dass diese Lösung nicht in Frage kommt. Als Person
Renate Schmidt sehe ich das weiter so. Aber ein Wahlrecht von Geburt an klingt
heute wahrscheinlich noch so ungewöhnlich wie im 19. Jahrhundert die Forderung
der Frauen, endlich wählen zu dürfen.
Leser: Aha, Befehlsnotstand,- keine grundlegenden
Änderungen in der Familienpolitik mit der SPD möglich. Das hatten wir von 68er
Pillenknickerkoalition auch nicht anders erwartet.