Kommentar


70000 Geburten weniger als 2003
Anlass zum Handeln für eine Familienministerin?
Ein Gespräch mit Renate Schmidt über
Elterngeld, Gerechtigkeit und das Problem, den Kanzler überzeugen zu müssen.

Schmidt: …Wir sind ein kinderentwöhntes Land.

ZEIT: Müssen Sie nicht erst einmal Ihre Kollegen im Kabinett an das Thema Kind gewöhnen? Wie zögerlich man da an die Entlastung der Familien bei den Beiträgen zur Pflegeversicherung rangeht, statt den Auftrag des Bundesverfassungsgerichtes zu begrüßen und endlich die Erziehungsleistung der Eltern als geldwerte Leistung anzuerkennen!

Schmidt: Wovon denn: von Schulden? Und wer zahlt die Schulden zurück? Die Kinder!

Leser: Beachtlich, kaum bohren die beiden Interviewerinnen ein Tabuthema an, wirft die Familienministerin die erste Nebelkerze und verfällt in den Imperativ. Mir wären jetzt auf Anhieb die Einkommensüberhänge Kinderloser eingefallen.

ZEIT: Mehr zahlen könnten doch alle Leute zu Zeiten, in denen sie keine Kinder erziehen oder Ältere pflegen. Sie haben doch mehr in der Währung Geld und Zeit, als wenn sie mit Kindern leben würden.

Leser: Überraschung, derselbe Gedanke bei der ZEIT. Die Beiden trauen sich tatsächlich, das Tarnnetz über dem Graben zwischen Menschen mit und ohne Unterhaltsverpflichtungen wegzureißen – ob das gut geht?

Schmidt: Dann fragen Sie mal, wie die Begeisterung bei einer kinderlosen Aldi-Verkäuferin ist, wenn man ihr sagt: Du zahlst jetzt von deinem kleinen Einkommen noch mal 150 Euro für die Pflegeversicherung.

Leser: Keine Überraschung, Frau Schmidt hält die Beiden für schlicht und devot genug, ihr diesen Textbaustein kinderloser Altruisten durchgehen zu lassen. Mal sehen, was jetzt kommt.

ZEIT: Nun, manche Verkäuferin bei Aldi muss so ein kleines Einkommen mit ein oder zwei Kindern teilen – und trotzdem denselben Pflegeversicherungsbeitrag abgeben wie die kinderlose Kollegin. Wer vertritt die Interessen dieser Mutter? Bevor Sie Ministerin waren, haben Sie gesagt, ohne Familienwahlrecht, in dem Eltern für ihre Kinder abstimmen, seien familienpolitische Reformen in Deutschland gar nicht durchsetzbar. Warum steht es jetzt nicht oben auf Ihrer Agenda?

Leser: Tor! Tor! Tor! Tabubruch! Jetzt haben die beiden den Konsens von durch Kinderlose dominierter Politik und Medien aufgekündigt! Sie haben es tatsächlich gewagt! BRAVO!

Schmidt: Auch ich unterliege der Kabinettsdisziplin. Der Bundeskanzler und das Kabinett sind – mit wenigen Ausnahmen – der Meinung, dass diese Lösung nicht in Frage kommt. Als Person Renate Schmidt sehe ich das weiter so. Aber ein Wahlrecht von Geburt an klingt heute wahrscheinlich noch so ungewöhnlich wie im 19. Jahrhundert die Forderung der Frauen, endlich wählen zu dürfen.

Leser: Aha, Befehlsnotstand,- keine grundlegenden Änderungen in der Familienpolitik mit der SPD möglich. Das hatten wir von 68er Pillenknickerkoalition auch nicht anders erwartet.


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