Was Norbert Blüm immer bestritten hat,
wird nun doch wahr:
Der Altersrente geht nicht nur die Dynamik verloren,
sondern sogar die Bestandskraft
Von Robert Leicht für ZEIT.de
Wiederveröffentlichung bei Familienwehr.de mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Wer sich erinnert an das Ende der fünfziger Jahre des
vorigen Jahrhunderts, weiß dass damals die dynamische Altersrente eingeführt
wurde. Das war ein sozialgeschichtlich einzigartiges Versprechen: Wenn Du wegen
Alters aus dem Arbeitsleben ausscheiden musst (und darfst!!), wenn Du also
Rente beziehst, nimmst Du gleichwohl am künftigen Zuwachs der Volkswirtschaft
und des Einkommens teil; und dies, obwohl Du selber nicht mehr in der
Produktion tätig bist und folglich auch nicht mehr mit eigener Kraft den
Produktivitätsfortschritt mit anschieben kannst. Die Rentner und Rentnerinnen
sollten also künftig nicht mehr nur darauf angewiesen sein, das von ihnen
Erarbeitete vorsichtig zu verzehren, sondern Teilnehmer am wirtschaftlichen
Wohlergehen und Zuwachs der Jüngeren sein. Diese dynamische Altersrente gehörte
- mehr als vieles andere, was förmlich in der Verfassung steht - zu den
Grundpfeilern der Sozialverfassung der damals zehn Jahre alten Bundesrepublik.
Dass es mit der Teilnahme am Zuwachs so weit nicht mehr
her war in den vergangenen Jahren, das hatten die Rentner hinzunehmen - und sie
konnten es auch (wie es heute heißt: ein Stück weit) begreifen. Wenn nirgendwo
etwas wächst, kann auch die Rente im besten Fall nur den Bestand sichern, etwa
gegen die Inflation.
Da hatte nun der Arbeits- und Sozialminister Norbert Blüm
(persönlich ein liebenswerter Kerl, politisch leider ein
Sand-in-die-Augen-Streuer bis an den Rand der Unverantwortlichkeit) über
sechzehn Jahre der Regierung Kohl fröhlich verkündet: "Die Rende is' sischer"
- gerade, dass er es unterließ, noch hinzuzufügen, für wie lange. Und nun
dieses! Dabei konnte jeder einigermaßen nüchterne Mensch an der
Bevölkerungsstatistik ablesen, dass eine Bevölkerung, die immer mehr Alter und
immer weniger Junge verzeichnet, sich auf ein umlagefinanziertes
Sozialsicherungssystem niemals verlassen darf, es sei denn, die Wirtschaft
erreiche exorbitante, völlig unrealistische Wachstumsraten. Und sage niemand,
eine andere Regierung (Schimpf auf die gegenwärtige, wie auf jede Regierung,
die amtiert!) hätte das nötige, unrealistisch hohe Wachstum ansteuern können.
So, nun ist die dynamische Altersrente praktisch perdu -
und indem dies zugegeben wurde, indem der Blick in den Abgrund des
Umlagesystems getan wurde, ist auch die Verfassung der Bundesrepublik de facto
an einem ihrer Grundpfeiler de facto verändert.
Aber damit kein ungerecht einseitiges Urteil über die
Politiker zustande kommt: Das hätte auch jeder vernünftig rechnende Bürger wissen können, vor
allem, wenn die Politiker gewagt hätten, es ihnen deutlich genug zu sagen,
nämlich: Am künftigen Zuwachs einer Gesellschaft kann nur teilnehmen, wer in
diese Zukunft investiert hat. Bei der dynamischen Altersversorgung, so wurde
damals unterstellt, geschah dies durch die Geburt, Pflege, Erziehung und
Ausbildung von Kindern für die künftige Gesellschaft; aber dann kam wenige
Jahre später der Siegeszug der "Pille" - und schon richteten sich die
meisten ohne diese Zukunftsgedanken in ihrer bequemen, sorgenfreien Gegenwart
ein; war ja auch billiger. Wer aber in die Zukunft nicht mit eigenen Kindern
investieren will (und kann) und dadurch gegenwärtig Geld erspart, der darf eben
für dieses Geld nicht konsumieren, sondern muss (mindestens) diesen Betrag
selber in die Wirtschaft investieren, also - sparen; und zwar nicht nur unter
dem Kopfkissen, sondern eben investiv.
So einfach ist das: Es muss schon - so oder so - jeder
selber für seine Zukunft aufkommen. Man kann es auch so sagen: Jede Generation
muss die Entscheidung für ihren eigenen Lebensstil eines Tages doch selber
bezahlen. Und so folgen nun für viele auf die kinderarmen aber konsumreichen
Jahre die enkellosen und kargen Jahre im Altersheim; wenn sie den Platz dort
noch bezahlen können. Das jedenfalls is sischer!
http://www.zeit.de/2003/43/leicht_181003